Über zwei Jahrzehnte hat Silke Evers die Musiktheater-Sparte des Mainfranken Theaters wie kaum eine andere Persönlichkeit geprägt: Die Zahl ihrer herausragenden Rollenporträts ist Legion. Bei Mozart fühlte sie sich dabei ebenso zu Hause wie in der Musik der Gegenwart. Neben der Oper gilt seit jeher ihre ganz große Liebe dem Liedgesang. Im Interview mit Susanne Ullmann und Chefmaskenbildner Wolfgang Weber spricht sie über die nun zu Ende gehende Zeit in Würzburg und neue berufliche und künstlerische Herausforderungen.
Susanne Ullmann: Liebe Silke, kannst du dich an deine Würzburger Anfänge erinnern? Das war direkt zu Beginn der Spielzeit 2003/04?
Silke Evers: Ich kam im Mai 2003 zu einem Vorsingen für die kommende Saison 2003/04 nach Würzburg. Damals wurde regelmäßig zum Ende der Spielzeit eine Mozart-Oper einstudiert, die beim Mozartfest Premiere hatte; 2003 war das Don Giovanni. Ich sollte in der Wiederaufnahme der Produktion im Herbst 2003 die Partie der Zerlina übernehmen. Nun erkrankte aber die Kollegin, die die Partie hätte singen sollen – mit ihr war ich später noch häufiger doppelt besetzt, – und so stieg ich gleich im Mai in die Probenarbeit ein und konnte mich hier gleich in der Premiere vorstellen.
S. U.: Und bist hier nicht mehr weggekommen!
S. E.: Ja, doch. Wenn man fest an ein Haus kommt, erhält man zunächst einen Zwei-Jahres-Vertrag, der sich jeweils um ein weiteres Jahr verlängert. Wie lange man bleibt, hängt von vielen Faktoren ab. Ich habe ab und zu auch an anderen Orten vorgesungen, ohne dass sich daraus ein neues Festengagement ergeben hätte. Dann habe ich hier meinen Mann kennengelernt und eine Familie gegründet und war natürlich froh, hier im Ensemble zu sein. Da ich aber parallel viel gastierte, bot mir der damalige Intendant Hermann Schneider ein Sabbatjahr mit anschließendem Neu-Engagement an. So konnte ich in diesem Jahr ganz frei gastieren und hatte zugleich die Sicherheit, anschließend zurückkehren zu können.
W. W.: Und dann ging es nach Berlin ...
S. E.: An die Staatsoper, genau, und zu den Salzburger Festspielen. Ich habe die große weite Welt geschnuppert, aber festgestellt, dass mir das gar nicht so gefällt. Ständig auf Reisen, ständig Gast sein, nie irgendwo ankommen, immer aus dem Koffer leben, weg zu sein vom Zuhause mit der Familie, mit einem kleinen Kind, da steppt der Bär. Wenn ich unterwegs war, hatte ich oft das Gefühl, ich müsste gerade jetzt zu Hause sein, gleichzeitig wartet man auf andere Engagements: Diese Zerrissenheit hat mir nicht gefallen. Das Ensemble-Dasein, das war mein Ding. Mit Menschen, mit denen man sich gut versteht, auf der Bühne immer wieder Neues entwickeln. Deswegen hat es mich nicht mehr fortgetrieben.
S. U.: Wolfgang, wenn jemand über so einen langen Zeitraum immer wieder in die Maske kommt: Gibt es eine Exklusiv-Schublade für Silke Evers?
W. W.: Selbstverständlich gibt es eine Evers-Kiste, in der sich mit der Zeit viele Perücken angesammelt haben, die speziell für sie gemacht wurden. Das hat Vorteile: Man muss nicht immer eine neue Perücke erstellen, wenn man schon weiß: „Ich habe da noch eine, die könnte auch für eine neue Inszenierung passen“. Mir liegt es übrigens auch sehr, am Ort zu sein, einen Platz im Theater zu haben. Bei mir ist das der Spiegel, bei Silke die Garderobe. Und von da aus über lange Zeit mit den Kollegen zusammen zu arbeiten, das ist schön.
S. U.: Weißt du, in wie vielen Inszenierungen du hier auf der Bühne gestanden hast?
S. E.: Ehrlich gesagt, nein. Aber es müssten durchschnittlich vier Rollen im Jahr sein …
W. W.: Mal 21 oder Mal 20 ...
S. E.: Ein paar Titel haben sich wiederholt.
W. W.: Also 70.
S. E.: So in etwa.
S. U.: Bei welchem Komponisten fühlst du dich am meisten zu Hause?
S. E.: Bei Mozart!
S. U.: Das heißt der Giovanni-Schlusspunkt vor einigen Wochen – wieder ein Mai! – ist für dich wie ein Wohnzimmer.
S. E.: Ja, absolut. Damit bin ich groß geworden, das ist meine Musik. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Neues man mit jedem Eintauchen in seine Musik findet, und überwältigt von der Meisterhaftigkeit der Komposition im Zusammenspiel mit dem dramatischen Gespür, das Mozart ja wie kaum ein anderer besaß. Es singt sich wunderbar, es ist immer Balsam für die Stimme.
S. U.: Gibt es eine Mozart-Partie, die dir bisher verwehrt geblieben ist, die du aber gerne interpretiert hättest?
S. E.: Die Gräfin im Figaro. Susanna habe ich gesungen, den Cherubino hätte ich auch gerne gemacht. Bei Mozart kann man ruhig drei-, viermal dieselbe Partie singen, es ist immer wieder neu.
S. U.: Wolfgang, was war deine herausforderndste Aufgabe für und an Silke?
W. W.: Die ersten drei Jahre habe ich sie immer geschminkt. Dann sind andere Kollegen mit dazugekommen. Hilf mal, Silke …
S. E.: Ich glaube, La Bohème, die Inszenierung von Martina Veh …
W. W.: Richtig, La Bohème! Das war eine Inszenierung, in der die Darsteller:innen von Akt zu Akt gealtert sind ...
S. E.: ... immer um zehn, fünfzehn Jahre.
W. W.: Das ist natürlich eine immense Herausforderung, weil man dies im laufenden Stück erzeugen muss. Der Film macht einfach einen Schnitt, und man hat stundenlang Zeit fürs Schminken. Im Theater sind es maximal 20 Minuten, das ist nicht viel. Die Produktion hat mir sehr gut gefallen. Das war schon zu Markus Trabuschs Zeiten, 2017 oder 2018. (Anm. Es war 2018)
S. U.: Die Produktion fand noch im Großen Haus statt. Wie fühlst du dich in der Blauen Halle, Silke?
S. E.: Ich bin so froh, dass wir sie haben. Andere müssen während einer Sanierung in Zelten spielen. Wir können so dankbar sein! Natürlich muss man mit dem Ort umgehen, ihn mitnehmen in die Inszenierung. Und natürlich wünschte man sich in der Blauen Halle eine bessere Akustik und einen etwas theatralischeren Saal, aber wir haben einen Saal! Ich bin da ganz pragmatisch.
W. W.: Je länger die Sanierung dauert, umso mehr muss man sich bemühen, das Positive sehen. Natürlich sind die Räumlichkeiten im Backstagebereich alles andere als ideal, aber so ist es nun mal.
Susanne Ullmann: Liebe Silke, kannst du dich an deine Würzburger Anfänge erinnern? Das war direkt zu Beginn der Spielzeit 2003/04?
Silke Evers: Ich kam im Mai 2003 zu einem Vorsingen für die kommende Saison 2003/04 nach Würzburg. Damals wurde regelmäßig zum Ende der Spielzeit eine Mozart-Oper einstudiert, die beim Mozartfest Premiere hatte; 2003 war das Don Giovanni. Ich sollte in der Wiederaufnahme der Produktion im Herbst 2003 die Partie der Zerlina übernehmen. Nun erkrankte aber die Kollegin, die die Partie hätte singen sollen – mit ihr war ich später noch häufiger doppelt besetzt, – und so stieg ich gleich im Mai in die Probenarbeit ein und konnte mich hier gleich in der Premiere vorstellen.
S. U.: Und bist hier nicht mehr weggekommen!
S. E.: Ja, doch. Wenn man fest an ein Haus kommt, erhält man zunächst einen Zwei-Jahres-Vertrag, der sich jeweils um ein weiteres Jahr verlängert. Wie lange man bleibt, hängt von vielen Faktoren ab. Ich habe ab und zu auch an anderen Orten vorgesungen, ohne dass sich daraus ein neues Festengagement ergeben hätte. Dann habe ich hier meinen Mann kennengelernt und eine Familie gegründet und war natürlich froh, hier im Ensemble zu sein. Da ich aber parallel viel gastierte, bot mir der damalige Intendant Hermann Schneider ein Sabbatjahr mit anschließendem Neu-Engagement an. So konnte ich in diesem Jahr ganz frei gastieren und hatte zugleich die Sicherheit, anschließend zurückkehren zu können.
W. W.: Und dann ging es nach Berlin ...
S. E.: An die Staatsoper, genau, und zu den Salzburger Festspielen. Ich habe die große weite Welt geschnuppert, aber festgestellt, dass mir das gar nicht so gefällt. Ständig auf Reisen, ständig Gast sein, nie irgendwo ankommen, immer aus dem Koffer leben, weg zu sein vom Zuhause mit der Familie, mit einem kleinen Kind, da steppt der Bär. Wenn ich unterwegs war, hatte ich oft das Gefühl, ich müsste gerade jetzt zu Hause sein, gleichzeitig wartet man auf andere Engagements: Diese Zerrissenheit hat mir nicht gefallen. Das Ensemble-Dasein, das war mein Ding. Mit Menschen, mit denen man sich gut versteht, auf der Bühne immer wieder Neues entwickeln. Deswegen hat es mich nicht mehr fortgetrieben.
S. U.: Wolfgang, wenn jemand über so einen langen Zeitraum immer wieder in die Maske kommt: Gibt es eine Exklusiv-Schublade für Silke Evers?
W. W.: Selbstverständlich gibt es eine Evers-Kiste, in der sich mit der Zeit viele Perücken angesammelt haben, die speziell für sie gemacht wurden. Das hat Vorteile: Man muss nicht immer eine neue Perücke erstellen, wenn man schon weiß: „Ich habe da noch eine, die könnte auch für eine neue Inszenierung passen“. Mir liegt es übrigens auch sehr, am Ort zu sein, einen Platz im Theater zu haben. Bei mir ist das der Spiegel, bei Silke die Garderobe. Und von da aus über lange Zeit mit den Kollegen zusammen zu arbeiten, das ist schön.
S. U.: Weißt du, in wie vielen Inszenierungen du hier auf der Bühne gestanden hast?
S. E.: Ehrlich gesagt, nein. Aber es müssten durchschnittlich vier Rollen im Jahr sein …
W. W.: Mal 21 oder Mal 20 ...
S. E.: Ein paar Titel haben sich wiederholt.
W. W.: Also 70.
S. E.: So in etwa.
S. U.: Bei welchem Komponisten fühlst du dich am meisten zu Hause?
S. E.: Bei Mozart!
S. U.: Das heißt der Giovanni-Schlusspunkt vor einigen Wochen – wieder ein Mai! – ist für dich wie ein Wohnzimmer.
S. E.: Ja, absolut. Damit bin ich groß geworden, das ist meine Musik. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Neues man mit jedem Eintauchen in seine Musik findet, und überwältigt von der Meisterhaftigkeit der Komposition im Zusammenspiel mit dem dramatischen Gespür, das Mozart ja wie kaum ein anderer besaß. Es singt sich wunderbar, es ist immer Balsam für die Stimme.
S. U.: Gibt es eine Mozart-Partie, die dir bisher verwehrt geblieben ist, die du aber gerne interpretiert hättest?
S. E.: Die Gräfin im Figaro. Susanna habe ich gesungen, den Cherubino hätte ich auch gerne gemacht. Bei Mozart kann man ruhig drei-, viermal dieselbe Partie singen, es ist immer wieder neu.
S. U.: Wolfgang, was war deine herausforderndste Aufgabe für und an Silke?
W. W.: Die ersten drei Jahre habe ich sie immer geschminkt. Dann sind andere Kollegen mit dazugekommen. Hilf mal, Silke …
S. E.: Ich glaube, La Bohème, die Inszenierung von Martina Veh …
W. W.: Richtig, La Bohème! Das war eine Inszenierung, in der die Darsteller:innen von Akt zu Akt gealtert sind ...
S. E.: ... immer um zehn, fünfzehn Jahre.
W. W.: Das ist natürlich eine immense Herausforderung, weil man dies im laufenden Stück erzeugen muss. Der Film macht einfach einen Schnitt, und man hat stundenlang Zeit fürs Schminken. Im Theater sind es maximal 20 Minuten, das ist nicht viel. Die Produktion hat mir sehr gut gefallen. Das war schon zu Markus Trabuschs Zeiten, 2017 oder 2018. (Anm. Es war 2018)
S. U.: Die Produktion fand noch im Großen Haus statt. Wie fühlst du dich in der Blauen Halle, Silke?
S. E.: Ich bin so froh, dass wir sie haben. Andere müssen während einer Sanierung in Zelten spielen. Wir können so dankbar sein! Natürlich muss man mit dem Ort umgehen, ihn mitnehmen in die Inszenierung. Und natürlich wünschte man sich in der Blauen Halle eine bessere Akustik und einen etwas theatralischeren Saal, aber wir haben einen Saal! Ich bin da ganz pragmatisch.
W. W.: Je länger die Sanierung dauert, umso mehr muss man sich bemühen, das Positive sehen. Natürlich sind die Räumlichkeiten im Backstagebereich alles andere als ideal, aber so ist es nun mal.
S. U.: Deine Abschiedsvorstellung ist Lehárs Lustige Witwe – kein Mozart. Ging es nicht anders in den Spielplan oder freust du dich darauf?
S. E.: Ich liebe diese Inszenierung und ich liebe die Rolle der Hanna Glawari! Schön, dass meine letzte Vorstellung so mit Rumtata ist …
W. W.: Vielleicht braucht man da nicht ganz so viel Konzentration hinter der Bühne und ist nicht zu sehr abgelenkt davon, dass es die letzte ist.
S. E.: Ich habe am Ende einen kleinen Monolog, in dem ich sage, dass ich nur gekommen bin, um mich zu verabschieden. Das passt doch wunderbar!
S. U.: Wo geht es eigentlich hin für dich?
S. E.: Es geht an die Hochschule in Weimar.
S. U.: Du bist bereits seit längerer Zeit Dozentin mit dem Schwerpunkt Neuere Musik. Nun also eine Professur für Neuere Musik?
S. E.: Tatsächlich lege ich den Fokus darauf, den Studierenden Neuere Musik näher zu bringen. Dennoch werde ich mich nicht darauf beschränken. Ich vermittle Gesang in der ganzen Breite und möchte sie verstehen lassen: „Wir leben im 21. Jahrhundert. Das hat auch seine Folgen.“ Es kann und darf nicht alles „nur“ Mozart sein, es gibt ganz fantastische Musik der heutigen Zeit.
S. U.: Erinnert ihr euch an einen gemeinsamen kuriosen Moment?
S. E.: Im alten Haus war die Maske direkt gegenüber vom Bühneneingang. Da kam es schonmal vor, dass man quatschend in der Maske saß, und plötzlich ertönt durch den Lautsprecher die eigene Musik. Dann flogen die Türen auf und man rannte auf die Bühne.
S. U.: Hast du jemals einen Auftritt verpasst?
W. W.: Das kann ich mir bei Silke nicht vorstellen!S. E.: Nein, aber einmal – erzähle ich immer gerne –, in der Generalprobe zur Zauberflöte, kurz vor meiner Pamina-Arie im 2. Akt: Ich trug ein weißes Kostüm und war barfuß. Da es kalt war, war ich froh um das Toi-Toi-Toi-Geschenk: Mit wunderbar flauschigen pinken Plüschschlappen an den Füßen wartete ich in der Maske auf meinen Auftritt. Plötzlich hörte ich mein Stichwort, sprang auf die Bühne und begann: „Tamino, ich hörte deine Flöte!“ Ich schaue auf meine Füße und sehe diese pinken Schlappen in diesem sehr ästhetischen Bühnenbild, das war ganz in weiß und schwarz gehalten. Dann musste ich kurz nochmal reinkommen, es war wirklich kein Halten mehr!
S.U.: Hast du eine Lieblingsinszenierung?
S. E.: Es gab viele schöne Produktionen. Ein Highlight war Così fan tutte in der Regie von Bernhard Stengele.
W. W.: Ja, das war eine tolle Arbeit!
S. E.: Das Orchester saß wie in einem Opernhaus in Besucherrängen auf der Bühne. Und die Musik: einfach grandios. Grundsätzlich war das eine Zeit, in der alle so frisch und auf der Suche waren, da gab es dieses: „Jetzt geht’s los“ und nach vorne. Für mich war das eine wahnsinnig intensive, schöne Zeit, aus der wunderbare Freundschaften entstanden sind. Auf der Bühne macht man auch mal Quatsch, aber du kannst dich voll drauf verlassen, egal was passiert und was du machst, der andere reagiert und ist wach. Auch dafür liebe ich diesen Beruf.
In jüngerer Zeit war für mich Tschaikowskis Eugen Onegin ein sehr, sehr großer Meilenstein. Das war ein riesiges Projekt, bei dem einfach alles gestimmt hat: die Regisseurin Agnessa Nefjodov, ihre Inszenierung und die Musik. Ich habe mich ein Jahr lang mit Russisch vorbereitet.
Im Orchester gibt es ebenfalls viele, die mich über die ganzen Jahre begleitet haben. Dieses Gefühl, wenn man da oben steht und im Graben ein Apparat ist, der sich komplett auf dich einstellt und dich in den feinsten Momenten begleitet: Das ist etwas ganz Besonderes! Da habe ich mich immer sehr aufgehoben und getragen gefühlt – natürlich auch mit Enrico Calesso über lange, lange, Zeit und mit Gábor Hontvári. Es ist eben nicht nur Theater, das ist Musiktheater. Deswegen bin ich dem Philharmonischen Orchester genauso wie dem Opernchor und all den Engeln hinter der Bühne unendlich dankbar für ihre Unterstützung.
S. U.: Gibt es auch Momente, die du lieber vergessen möchtest?
S. E.: Es gab sicher Inszenierungen, bei denen ich mich zu Beginn fragte, wohin die Reise gehen soll. Aber ich möchte keine einzige dieser Reisen vermissen, auch wenn es natürlich Momente gab, über die man im Nachhinein lachen muss. Wenn die Drehbühne beispielsweise einfach nicht mehr aufhört zu drehen, wie es bei Des Teufels Lustschloss von Franz Schubert passierte. Zu Beginn des zweiten Teils lag mein sehr geschätzter Kollege Daniel Fiolka im Bett unter der Decke – konnte also nichts sehen – und sollte mit der Scheibe herein gedreht werden. Dann sollte ich von hinten auftreten. Doch die Drehbühne stoppte nicht. Also flüsterte ich ihm im Vorspiel zu: „Daniel! Komm raus aus dem Bett. Du musst raus!“ Er ist dann herausgekrochen, gemeinsam wir sind vor die Drehbühne gerobbt und haben die Szene weitergespielt. Das Bett hat sich einfach wieder aus der Szene heraus gedreht.
W. W.: Die Drehbühne stammte halt wie das Haus aus den 60er Jahren! Mir fällt übrigens gerade noch eine andere Stengele-Inszenierung ein, an der du mitgewirkt hast: Offenbachs Orpheus in der Unterwelt. Das war eine Wahnsinns-Ensembleleistung! Auch alle im gleichen Alter.
S. E.: Ja, stimmt, und alle super! Voll auf den Punkt. Es gab über die Jahre wirklich viele, viele tolle Abende. Selbst wenn ich zu bestimmten Stücken zuerst keinen Zugang fand, war es für mich wichtig, die Sachen lieben zu lernen. Zuerst tut man sich vielleicht etwas schwer, dann erarbeitet man sich das Stück musikalisch, bis man es versteht oder für sich einnimmt, bis man sagt: „Das ist jetzt meins“. Auf der Bühne zu stehen und zu sagen, was für ein blödes Stück das sei, das funktioniert für mich nicht. Das gilt im Übrigen auch für mein Gegenüber: Wenn ich ein Liebesszene spiele, muss ich irgendwas finden, was ich an dem anderen toll finde, um es darstellen zu können.
W. W.: Man muss offen sein, das ist ganz wichtig.
S. E.: Ja, genau.
W. W.: Eine der vielen großen Eigenschaften von Silke!
S. U.: Du hast noch etwas mitgebracht.
S. E.: Ein paar Programmhefte von früher aus Produktionen, in denen ich besetzt war. Ich hatte hier in Würzburg die Möglichkeit, vom Sopran bis zum lyrischen Fach alles zu singen: von der Tanz-Soubrette Mizzi Reitmeier aus Zwei Herzen Im Dreivierteltaktüber eine Mezzosopranrolle als Ersatz für die schwangere Barbara Schöller bis hin zu jugendlich-dramatischen Partien wie die Marguerite in Gounods Faust – also ein Stimmfach, das ich in einem größeren Haus vielleicht nicht hätte singen dürfen. Mit der Konstanze in Mozarts Entführung aus dem Serail habe ich sogar einen Ausflug ins Koloraturfach gewagt. Das war extrem für mich, aber man hat mich alles ausprobieren lassen, und ich habe die Herausforderungen immer gerne angenommen. Neue Musik, Kinderstücke – auch die haben mir immer großen Spaß gemacht.
W. W.: Das ist auch einer der Vorteile, wenn man länger im Ensemble ist und das Vertrauen der Theaterleitung genießt: Man kann sich Herausforderungen stellen, die über das eigene Fach hinausgehen. In einem Riesentheater wie in Berlin oder München gibt es dagegen für jedes Fach entsprechende Spezialisten.
S. U.: Wie ist das mit der Familie, wenn du jetzt nach Weimar gehst? Musst du pendeln?
S. E.: Ich bin so froh und dankbar, dass mein Mann und unser Sohn so gut miteinander auskommen. Ich bin drei, vier Tage dort und am Wochenende zu Hause. Aber, wenn ich dann hier bin, dann bin ich auch hier. Bisher hatte ich morgens und abends Proben, am Wochenende Vorstellung und zwischendurch noch das Unterrichten. Jetzt wird das alles etwas planbarer, aber das muss ich auch erst lernen. Bisher habe ich auf den Tagesplan geguckt, um zu erfahren, was der nächste Tag bringt – das Theaterleben ist unberechenbar. Jetzt kann ich entspannt den Kolleginnen und Kollegen vom Zuschauerraum aus zuschauen.
W. W.: Wäre eine Gastrolle möglich? Lässt sich das mit deinen Aufgaben vereinbaren?
S. E.: Ja, wenn man das entsprechend vorausplant, kann man das durchaus kombinieren. Sicher nicht zwei, drei, vier Partien im Jahr, so lange will ich die Studierenden nicht warten lassen. Aber einmal für sechs Wochen, das ist auf jeden Fall möglich und wäre sehr schön für mich. Ich finde es wichtig, als Professorin selber noch ein bisschen in der Theaterrealität beschäftigt zu sein und zu gucken, dass man nicht nur in seinem eigenen Süppchen kocht. Das Singen lassen kann ich sowieso nicht.
S. U.: Ich darf jetzt einfach mal sagen: Wir würden uns wünschen, dass du ab und zu als Gast zurückkehren wirst!
S. E.: Es liegt nicht an mir ...
S. U.: Ich werde das nach oben weitergeben, mit Unterstützung von Wolfgang. Wolfgang, was wünschst du Silke für die nächste Etappe?W. W.: Ich bin mir sicher, dass sie eine wunderbare Professorin ist. Sie hat sich hier im Haus einen Ruf über das Musiktheater hinaus erworben. Das hat man jüngst sogar bei Rocky gemerkt, als Kolleg:innen des Schauspielensembles stimmliche Unterstützung brauchten. Sie ist eine wunderbare Gesangspädagogin. Erfahrene Kolleginnen, die lange im Beruf sind, haben sich von ihr coachen lassen oder ein, zwei Stunden genommen. Deshalb wünsche ich ihr das Beste und dass sie gesund bleibt. Mit der Familie läuft eh alles super. Toller Sohn, toller Mann. Einfach, dass es so bleibt.
S. E.: Das denke ich mir auch. Ich bin zufrieden. Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge, aber niemals geht man so ganz!
S. E.: Ich liebe diese Inszenierung und ich liebe die Rolle der Hanna Glawari! Schön, dass meine letzte Vorstellung so mit Rumtata ist …
W. W.: Vielleicht braucht man da nicht ganz so viel Konzentration hinter der Bühne und ist nicht zu sehr abgelenkt davon, dass es die letzte ist.
S. E.: Ich habe am Ende einen kleinen Monolog, in dem ich sage, dass ich nur gekommen bin, um mich zu verabschieden. Das passt doch wunderbar!
S. U.: Wo geht es eigentlich hin für dich?
S. E.: Es geht an die Hochschule in Weimar.
S. U.: Du bist bereits seit längerer Zeit Dozentin mit dem Schwerpunkt Neuere Musik. Nun also eine Professur für Neuere Musik?
S. E.: Tatsächlich lege ich den Fokus darauf, den Studierenden Neuere Musik näher zu bringen. Dennoch werde ich mich nicht darauf beschränken. Ich vermittle Gesang in der ganzen Breite und möchte sie verstehen lassen: „Wir leben im 21. Jahrhundert. Das hat auch seine Folgen.“ Es kann und darf nicht alles „nur“ Mozart sein, es gibt ganz fantastische Musik der heutigen Zeit.
S. U.: Erinnert ihr euch an einen gemeinsamen kuriosen Moment?
S. E.: Im alten Haus war die Maske direkt gegenüber vom Bühneneingang. Da kam es schonmal vor, dass man quatschend in der Maske saß, und plötzlich ertönt durch den Lautsprecher die eigene Musik. Dann flogen die Türen auf und man rannte auf die Bühne.
S. U.: Hast du jemals einen Auftritt verpasst?
W. W.: Das kann ich mir bei Silke nicht vorstellen!S. E.: Nein, aber einmal – erzähle ich immer gerne –, in der Generalprobe zur Zauberflöte, kurz vor meiner Pamina-Arie im 2. Akt: Ich trug ein weißes Kostüm und war barfuß. Da es kalt war, war ich froh um das Toi-Toi-Toi-Geschenk: Mit wunderbar flauschigen pinken Plüschschlappen an den Füßen wartete ich in der Maske auf meinen Auftritt. Plötzlich hörte ich mein Stichwort, sprang auf die Bühne und begann: „Tamino, ich hörte deine Flöte!“ Ich schaue auf meine Füße und sehe diese pinken Schlappen in diesem sehr ästhetischen Bühnenbild, das war ganz in weiß und schwarz gehalten. Dann musste ich kurz nochmal reinkommen, es war wirklich kein Halten mehr!
S.U.: Hast du eine Lieblingsinszenierung?
S. E.: Es gab viele schöne Produktionen. Ein Highlight war Così fan tutte in der Regie von Bernhard Stengele.
W. W.: Ja, das war eine tolle Arbeit!
S. E.: Das Orchester saß wie in einem Opernhaus in Besucherrängen auf der Bühne. Und die Musik: einfach grandios. Grundsätzlich war das eine Zeit, in der alle so frisch und auf der Suche waren, da gab es dieses: „Jetzt geht’s los“ und nach vorne. Für mich war das eine wahnsinnig intensive, schöne Zeit, aus der wunderbare Freundschaften entstanden sind. Auf der Bühne macht man auch mal Quatsch, aber du kannst dich voll drauf verlassen, egal was passiert und was du machst, der andere reagiert und ist wach. Auch dafür liebe ich diesen Beruf.
In jüngerer Zeit war für mich Tschaikowskis Eugen Onegin ein sehr, sehr großer Meilenstein. Das war ein riesiges Projekt, bei dem einfach alles gestimmt hat: die Regisseurin Agnessa Nefjodov, ihre Inszenierung und die Musik. Ich habe mich ein Jahr lang mit Russisch vorbereitet.
Im Orchester gibt es ebenfalls viele, die mich über die ganzen Jahre begleitet haben. Dieses Gefühl, wenn man da oben steht und im Graben ein Apparat ist, der sich komplett auf dich einstellt und dich in den feinsten Momenten begleitet: Das ist etwas ganz Besonderes! Da habe ich mich immer sehr aufgehoben und getragen gefühlt – natürlich auch mit Enrico Calesso über lange, lange, Zeit und mit Gábor Hontvári. Es ist eben nicht nur Theater, das ist Musiktheater. Deswegen bin ich dem Philharmonischen Orchester genauso wie dem Opernchor und all den Engeln hinter der Bühne unendlich dankbar für ihre Unterstützung.
S. U.: Gibt es auch Momente, die du lieber vergessen möchtest?
S. E.: Es gab sicher Inszenierungen, bei denen ich mich zu Beginn fragte, wohin die Reise gehen soll. Aber ich möchte keine einzige dieser Reisen vermissen, auch wenn es natürlich Momente gab, über die man im Nachhinein lachen muss. Wenn die Drehbühne beispielsweise einfach nicht mehr aufhört zu drehen, wie es bei Des Teufels Lustschloss von Franz Schubert passierte. Zu Beginn des zweiten Teils lag mein sehr geschätzter Kollege Daniel Fiolka im Bett unter der Decke – konnte also nichts sehen – und sollte mit der Scheibe herein gedreht werden. Dann sollte ich von hinten auftreten. Doch die Drehbühne stoppte nicht. Also flüsterte ich ihm im Vorspiel zu: „Daniel! Komm raus aus dem Bett. Du musst raus!“ Er ist dann herausgekrochen, gemeinsam wir sind vor die Drehbühne gerobbt und haben die Szene weitergespielt. Das Bett hat sich einfach wieder aus der Szene heraus gedreht.
W. W.: Die Drehbühne stammte halt wie das Haus aus den 60er Jahren! Mir fällt übrigens gerade noch eine andere Stengele-Inszenierung ein, an der du mitgewirkt hast: Offenbachs Orpheus in der Unterwelt. Das war eine Wahnsinns-Ensembleleistung! Auch alle im gleichen Alter.
S. E.: Ja, stimmt, und alle super! Voll auf den Punkt. Es gab über die Jahre wirklich viele, viele tolle Abende. Selbst wenn ich zu bestimmten Stücken zuerst keinen Zugang fand, war es für mich wichtig, die Sachen lieben zu lernen. Zuerst tut man sich vielleicht etwas schwer, dann erarbeitet man sich das Stück musikalisch, bis man es versteht oder für sich einnimmt, bis man sagt: „Das ist jetzt meins“. Auf der Bühne zu stehen und zu sagen, was für ein blödes Stück das sei, das funktioniert für mich nicht. Das gilt im Übrigen auch für mein Gegenüber: Wenn ich ein Liebesszene spiele, muss ich irgendwas finden, was ich an dem anderen toll finde, um es darstellen zu können.
W. W.: Man muss offen sein, das ist ganz wichtig.
S. E.: Ja, genau.
W. W.: Eine der vielen großen Eigenschaften von Silke!
S. U.: Du hast noch etwas mitgebracht.
S. E.: Ein paar Programmhefte von früher aus Produktionen, in denen ich besetzt war. Ich hatte hier in Würzburg die Möglichkeit, vom Sopran bis zum lyrischen Fach alles zu singen: von der Tanz-Soubrette Mizzi Reitmeier aus Zwei Herzen Im Dreivierteltaktüber eine Mezzosopranrolle als Ersatz für die schwangere Barbara Schöller bis hin zu jugendlich-dramatischen Partien wie die Marguerite in Gounods Faust – also ein Stimmfach, das ich in einem größeren Haus vielleicht nicht hätte singen dürfen. Mit der Konstanze in Mozarts Entführung aus dem Serail habe ich sogar einen Ausflug ins Koloraturfach gewagt. Das war extrem für mich, aber man hat mich alles ausprobieren lassen, und ich habe die Herausforderungen immer gerne angenommen. Neue Musik, Kinderstücke – auch die haben mir immer großen Spaß gemacht.
W. W.: Das ist auch einer der Vorteile, wenn man länger im Ensemble ist und das Vertrauen der Theaterleitung genießt: Man kann sich Herausforderungen stellen, die über das eigene Fach hinausgehen. In einem Riesentheater wie in Berlin oder München gibt es dagegen für jedes Fach entsprechende Spezialisten.
S. U.: Wie ist das mit der Familie, wenn du jetzt nach Weimar gehst? Musst du pendeln?
S. E.: Ich bin so froh und dankbar, dass mein Mann und unser Sohn so gut miteinander auskommen. Ich bin drei, vier Tage dort und am Wochenende zu Hause. Aber, wenn ich dann hier bin, dann bin ich auch hier. Bisher hatte ich morgens und abends Proben, am Wochenende Vorstellung und zwischendurch noch das Unterrichten. Jetzt wird das alles etwas planbarer, aber das muss ich auch erst lernen. Bisher habe ich auf den Tagesplan geguckt, um zu erfahren, was der nächste Tag bringt – das Theaterleben ist unberechenbar. Jetzt kann ich entspannt den Kolleginnen und Kollegen vom Zuschauerraum aus zuschauen.
W. W.: Wäre eine Gastrolle möglich? Lässt sich das mit deinen Aufgaben vereinbaren?
S. E.: Ja, wenn man das entsprechend vorausplant, kann man das durchaus kombinieren. Sicher nicht zwei, drei, vier Partien im Jahr, so lange will ich die Studierenden nicht warten lassen. Aber einmal für sechs Wochen, das ist auf jeden Fall möglich und wäre sehr schön für mich. Ich finde es wichtig, als Professorin selber noch ein bisschen in der Theaterrealität beschäftigt zu sein und zu gucken, dass man nicht nur in seinem eigenen Süppchen kocht. Das Singen lassen kann ich sowieso nicht.
S. U.: Ich darf jetzt einfach mal sagen: Wir würden uns wünschen, dass du ab und zu als Gast zurückkehren wirst!
S. E.: Es liegt nicht an mir ...
S. U.: Ich werde das nach oben weitergeben, mit Unterstützung von Wolfgang. Wolfgang, was wünschst du Silke für die nächste Etappe?W. W.: Ich bin mir sicher, dass sie eine wunderbare Professorin ist. Sie hat sich hier im Haus einen Ruf über das Musiktheater hinaus erworben. Das hat man jüngst sogar bei Rocky gemerkt, als Kolleg:innen des Schauspielensembles stimmliche Unterstützung brauchten. Sie ist eine wunderbare Gesangspädagogin. Erfahrene Kolleginnen, die lange im Beruf sind, haben sich von ihr coachen lassen oder ein, zwei Stunden genommen. Deshalb wünsche ich ihr das Beste und dass sie gesund bleibt. Mit der Familie läuft eh alles super. Toller Sohn, toller Mann. Einfach, dass es so bleibt.
S. E.: Das denke ich mir auch. Ich bin zufrieden. Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge, aber niemals geht man so ganz!