Dis-Tanz Berührungen

Das Tanzensemble bewegt mit der ersten Premiere „So nah und doch so fern"
Die Berührung als elementarer Bestandteil menschlichen Lebens steht im Mittelpunkt von Dominique Dumais’ neuester Tanzkreation So nah und doch so fern". Die Choreografin reflektiert im Gespräch mit der Produktionsdramaturgin Sonja Wilhelm über neue Perspektiven im Tanz.

SONJA WILHELM: Dieses Jahr hat den Blick auf Körperkontakt stark verändert – für die Welt, aber auch für die Künste. Der Tanz wird in besonderer Weise durch die neuen Kontaktbeschränkungen beeinflusst. Wie hat die neue Situation deinen Schaffensprozess und deine Sicht auf Berührung geprägt?

DOMINIQUE DUMAIS: Berührung ist normalerweise ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Durch social distancing musste ich neue Möglichkeiten und Konstellationen finden, um die Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne zusammen zu bringen. Auch habe ich mich dadurch intensiver mit Solo-Arbeiten befasst als in der Vergangenheit. Diese „Einschränkungen“ haben aber mein kreatives Denken in eine interessante Richtung gelenkt. Und sie haben mir die Möglichkeit gegeben, in intensiver Einzelarbeit die individuellen Kunstfertigkeiten der Ensemblemitglieder herauszubringen.

SONJA WILHELM: Nicht nur für Tanzschaffende, sondern auch aus Sicht des Publikums hat sich die Bedeutung von Berührung verändert. Noch vor einem Jahr wurde Körperkontakt auf der Bühne kaum als etwas Besonderes empfunden. Inzwischen sind wir in unserer Wahrnehmung von Berührung stark sensibilisiert. Es gibt eine Veränderung der allgemeinen Sehgewohnheiten des Publikums. Beim Tanz sind wir fast wieder bei den Prinzipien des höfischen und Barock-Tanzes angelangt: Nur die Beinahe- Berührung ist erlaubt.

DOMINIQUE DUMAIS: Es ist definitiv ein Perspektivenwechsel. Im 18. Jahrhundert galt etwa ein Walzer, bei dem sich nur zwei Hände berühren, eine Hand auf der Hüfte und eine auf der Schulter liegt, als ein sehr erotischer Tanz. Und jetzt kommt das Gefühl wieder auf: Nähe und Berührung sind etwas Verbotenes, aber damit auch etwas Aufregendes. Das bringt eine neue Spannung mit sich, Körperkontakt erhält wieder einen ganz neuen Reiz. Übrigens spannen wir auch musikalisch einen Bogen von der Gegenwart zurück zum Höfischen, nämlich der Tudorzeit: von Terry Riley und Arvo Pärt über Antonio Vivaldi und Johann Sebastian Bach bis zu William Byrd.
Um nun auf der Bühne Nähe zu ermöglichen, ohne die Sicherheit der Tänzerinnen und Tänzer zu gefährden, mussten wir einen neuen Weg über das Bühnenbild finden. Dejana Radosavljevic (Bühnen-/Kostümbild) und ich haben ein Element ausgewählt, das mir sonst wahrscheinlich nicht in den Sinn gekommen wäre: durchsichtige Wände. Sie ermöglichen uns Nähe. Gleichzeitig kann man sie aber auch metaphorisch als die Wände sehen, die Menschen um sich herum errichten oder die zwischen verschiedenen sozialen Gruppen, Kulturen usw. errichtet werden – nicht immer sichtbar, aber trotzdem da.

SONJA WILHELM: Die Tänzerinnen und Tänzer können mit nur wenigen Millimetern Glas zwischen sich nah beieinander sein, und doch ist es nicht mit einer tatsächlichen Berührung zu vergleichen. Und das macht es fast schwieriger, „So nah und doch so fern" zu sein.

DOMINIQUE DUMAIS: Ja, die Spannung, die sich in dieser geringen Distanz aufbaut, verstärkt die Sehnsucht nach Nähe und erinnert uns einmal mehr daran, wie wichtig tatsächliche Berührung in unserem Leben ist.

Probeneinblicke in "So nah und doch so fern"

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