Premiere Musiktheater
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Leoš Janáceks Die Sache Makropulos erstmals am Mainfranken Theater
Nach mehr als 30 Jahren steht wieder eine Oper von Leoš Janácek auf dem Spielplan des Mainfranken Theaters. Am 30. Januar feiert die mit Spannung erwartete Sache Makropulos Premiere in der Theaterfabrik Blaue Halle. In der Hauptrolle der Emilia Marty gibt es ein Wiedersehen mit der griechischen Sopranistin Ilia Papandreou. Für die Inszenierung zeichnet die junge Schweizer Regisseurin Nina Russi verantwortlich.
1926 uraufgeführt, zählt Die Sache Makropulos zu den großen Reifewerken des 1854 im mährischen Hukvaldy geborenen Leoš Janácek. Kaum zehn Jahre zuvor hatte Janácek mit der Prager Aufführung seiner Jenufa spät zu internationalem Ruhm und nationaler Anerkennung gefunden, nun endlich lag ihm – in Nachwirkung der Feierlichkeiten aus Anlass seines 70. Geburtstags – die Musikwelt zu Füßen. „Offiziell“, so der Janácek- Biograf Meinhard Saremba, „konsolidiert die Kulturszene ein Lebenswerk, dessen Urheber noch immer gegen jegliche künstlerische Konvention rebelliert.“
Der Plot
Alles beginnt in der Anwaltskanzlei Dr. Kolenatys. Der fast hundert Jahre alte Erbschaftsstreit der Familien Gregor und Prus soll erneut vor Gericht. Völlig unerwartet betritt die berühmte Sängerin Emilia Marty die Szene. Sie erkundigt sich ausgerechnet nach diesem Prozess und verblüfft die Anwesenden mit Details aus längst vergangenen Zeiten. Zunächst kann sie keine Beweise vorlegen, um den Fortgang des Prozesses zu beeinflussen. Doch dann wird mit ihrer Hilfe tatsächlich ein verschollen geglaubtes Testament gefunden. Emilia Marty aber ist nicht an dem Testament, sondern an einer ganz bestimmten griechischen Handschrift interessiert. Die „Sache Makropulos“ nimmt ihren Lauf.
Zukunftsvisionen
Die Sache Makropulos – im tschechischen Original: Vec Makropulos – basiert auf der gleichnamigen Komödie von Janáceks Landsmann Karel Capek aus dem Jahr 1922. Capek (1890–1938) hatte sich bereits in jungen Jahren einen Namen als Journalist und Fotograf, aber auch als Regisseur, Dramaturg und vor allem als Übersetzer insbesondere der französischen Poesie seiner Zeit gemacht. Vom großen Einfluss seiner eigenen Romane und Dramen – von denen sich „ein wesentlicher Teil mit utopischen und phantastischen Themen beschäftigt“ (Miroslav Novak) – bis in unsere Tage zeugt unter anderem die Übernahme des Begriffs „Robot“ oder „Roboter“ aus dem „utopistischen Kollektivdrama in drei Aufzügen“ R.U.R. (1920) in den modernen Sprachgebrauch. Das Stück handelt von der Herstellung künstlicher Menschen durch die Firma „Rossum’s Universal Robots“. Diese Roboter dienen als billige und rechtlose Arbeitskräfte. Am Ende erheben sich die Roboter über ihre Schöpfer und vernichten sie – eine ebenso düstere wie erschreckend aktuelle Zukunftsvision: „Die Macht des Menschen ist gefallen. Die Etappe der Menschheit ist überwunden. Eine neue Welt hat begonnen. Das Zeitalter der Roboter! Die Herrschaft der Roboter!“ (R.U.R., Ende des 2. Aufzugs). Ähnlich düster auch die Vision, die Capek in dem gemeinsam mit seinem Bruder Josef geschriebenen Theaterstück Aus dem Leben der Insekten (1922) aufzeigt, sowie in seinem mehrfach verfilmten Roman Krakatit (1924) über die atomare Vernichtung der Welt.
Hasten und Sehnen
Weniger als Untergangsvision, eher als eine die Abgründe der menschlichen Seele genau ausleuchtende Nahaufnahme kommt Die Sache Makropulos daher. Die Fabel hat die Frage nach dem, wenn nicht ewigen, so doch um 300 Jahre verlängerten Leben zum Gegenstand. Was mit jenem uralten Erbschaftsstreit als geschwätzige Konversationskomödie in Kolenatys Kanzlei beginnt, wendet sich mit dem Auftritt Emilia Martys ins Fantastische. Janácek, der im Dezember 1922 eine Aufführung des Werkes gesehen hatte, war sogleich Feuer und Flamme für Capeks Text und für das Thema insgesamt, das historisch einen Bogen von der Epoche des Habsburger Kaisers Rudolfs II. bis in die Gegenwart des frühen 20. Jahrhunderts spannt. Begeistert berichtete er seiner um die 40 Jahre jüngeren Geliebten Kamila Stösslová (1891–1935) von der besuchten Aufführung, um in dieser Beschreibung sogleich zum entscheidenden Punkt der Komödie vorzudringen: „Eine 337-jährige Frau, die aber gleichzeitig noch jung und schön ist. Möchten Sie das auch sein? Und können Sie sich vorstellen, dass sie unglücklich war? Wir sind glücklich, weil wir wissen, dass unser Leben nicht lange währt. Deshalb ist es notwendig, jeden Augenblick zu nutzen, und richtig zu nutzen. Alles in unserem Leben ist Hasten – und Sehnen. Letzteres ist mein Los. Jene Frau – die 337-jährige Schönheit – besaß kein Herz mehr. Das ist schlimm.“ Janácek selbst hielt Die Sache Makropulos für sein „dramatischstes Werk“, so der Uraufführungs- Regisseur Otakar Zítek. Ungeachtet der längst offenkundigen Entfremdung von ihrem Ehemann – bereits 1916 war eine gerichtliche Trennung vereinbart worden, aber das Paar lebte nach wie vor unter einem Dach –, erinnert später sogar Janáceks Frau Zdenka in ihren Memoiren an den „großen Erfolg“ der Brünner Premiere am 18. Dezember 1826: „Das Libretto und die Musik vereinten sich zu dem Werk eines Genies, das die Zuschauer zuweilen erschütterte. Mir kam es vor, als ob Leoš selbst von dem Werk überrascht sei, ja dass es selbst seine Erwartungen übertraf.“
Furcht und Ehrfurcht
„Die Komplexität dieser Partitur ist eine
enorme Herausforderung für das Sängerensemble
wie für das Orchester.“Enrico Calesso
Im Zentrum der Oper steht von Beginn an die Figur der Emilia Marty. „Janácek“, so der Musikbuchautor und Opernforscher Uwe Schweikert, „führt uns die Sängerin fast die ganze Oper hindurch vor, wie sie von außen gesehen wird: in Klangbildern, die ihre Erscheinung widerspiegeln. Ihre wirkliche Identität enthüllt erst ihr Schlussmonolog, in dem sie den Tod als das Los des Menschen annimmt, obwohl sie erneut in den Besitz des unsterblich machenden Elixiers gelangt ist: ‚Sterben oder weggehen – es ist kein Unterschied.‘ Erst in der schaurigen Agonie vollzieht sich an ihr die Metamorphose aus einer herzlosen Schönheit zu einem menschlichen Wesen.“ Diese Wandlung Emilia Martys von einer sich selbst und ihre Mitmenschen verachtenden Diva – Kolenaty nennt sie eine „Lügnerin“, für Prus ist sie „anzufühlen wie Eis“, sein Prozessgegner Gregor könnte sie glatt „totschlagen“ – hin zu einem menschlichen Wesen erscheint geradezu wie eine Umkehrung jener ebenso wundersamen Wandlung der von Theseus verlassenen Ariadne in Richard Strauss’ und Hugo von Hofmannsthals Ariadne auf Naxos. Dort überwindet Ariadne durch die Begegnung mit dem Gott Bacchus, den sie für den erlösenden Todesboten Hermes hält, ihre Agonie und erwacht zu neuem Leben. Strauss’ Oper war zuletzt in der Saison 2018/19 in Würzburg zu erleben. Damals gab die griechische Sopranistin Ilia Papandreou hier ihr Debüt als Interpretin der Titelpartie, nun kehrt sie als Emilia Marty erneut mit einer fordernden und herausfordernden Partie ans Mainfranken Theater zurück. „Ich habe noch nie so viel Ehrfurcht und zugleich Furcht vor einer Figur gehabt, die ich auf der Bühne verkörpern durfte“, so Papandreou. „Ehrfurcht, weil sie so viel Mut und Stärke aufbringt, dieses Leben zu ‚überleben‘, vor allem psychisch. Und Furcht, weil man ihr alles zutrauen würde, sogar über Leichen zu gehen. Sie ist unberechenbar wie das Lottospielen: Man kann das größte Glück mit ihr erleben, oder aber das genaue Gegenteil!“ Ilia Papandreou zur Seite stehen in den weiteren Hauptrollen James Kee (Albert Gregor), Michael Tews (Kolenaty) sowie – aus dem Opernensemble des Mainfranken Theaters – Kosma Ranuer (Jaroslaw Prus), ferner Mathew Habib (Vitek) und Akiho Tsujii (Christa). Ein Wiedersehen gibt es außerdem mit Tenor Joshua Whitener in der Partie des von Emilia Marty in den Selbstmord getriebenen Janek. Die musikalische Gesamtleitung liegt in den Händen von Generalmusikdirektor Enrico Calesso, der mit der Sache Makropulos – in der deutschen Übersetzung von Max Brod – sein erstes Janácek-Dirigat in Würzburg vorlegt: „Die Komplexität dieser Partitur“, so Calesso, „ist eine enorme Herausforderung für das Sängerensemble wie für das Orchester. Und eine noch größere Herausforderung ist es, aus der extrem dichten Partitur das permanente kammermusikalische Element herauszuarbeiten.“
Das Regieteam
Auch auf Regisseurin Nina Russi übt das Werk eine ganz besondere Faszination aus: „Für mich hat Die Sache Makropulos mit den Fragen nach Lebensverlängerung, Endlichkeit, Akzeptanz des Todes einen irrwitzigen Aktualitätsbezug. Als Regisseurin reizt mich die kammerspielartige Anlage, die es erlaubt, die skurrilen und in eigenen Welten und Sorgen gefangenen Figuren psychologisch differenziert herauszuarbeiten. Temporeich wird in diesem Konversationsstück vorgetäuscht und gelogen. Es eröffnet sich ein Spannungsfeld zwischen Innenleben und Außenwirkung, das auch im Bühnenbild ausgelotet wird.“ Mit Nina Russi konnte eine der spannendsten Regisseurinnen der jungen Generation für die Würzburger Neuinszenierung der Sache Makropulos gewonnen werden. 2019 mit dem renommierten Götz-Friedrich-Preis ausgezeichnet, führten Regiearbeiten Nina Russi zuletzt unter anderem an das Staatstheater Nürnberg (Bajazet), wiederholt an das Opernhaus Zürich (Coraline) sowie an das Theater Aachen (Trouble in Tahiti / A Quiet Place). Als Bühnen- und Kostümbildnerin der Produktion kehrt Julia Katharina Berndt an das Mainfranken Theater zurück, wo sie unter anderem für Die Hugenotten (2016), Nixon in China (2017) und Hänsel und Gretel als Bühnenbildnerin verantwortlich zeichnete. Jüngste Engagements führten sie an die Theater und Opernhäuser in Oslo und Florenz, zu den Salzburger Festspielen sowie zuletzt im November 2021 an die Komische Oper Berlin, wo sie das Bühnenbild zu Janáceks Katja Kabanowa entwarf.
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