„Wilder Tanz, Tanz in den Tod"

„Elektra" feiert am 8. Oktober Premiere
Mit der „Tragödie in einem Aufzug“ Elektra startet das Musiktheater in die Saison 23/24. Für die Neuinszenierung konnte einmal mehr die Schweizer Regisseurin Nina Russi gewonnen werden, am Pult steht Würzburgs Generalmusikdirektor Enrico Calesso. Sopranistin Elena Batoukova-Kerl kehrt als Interpretin der Titelpartie ans Mainfranken Theater zurück.

Kein anderes Musikdrama steht zu Beginn des 20. Jahrhunderts derart radikal für den Epochenwechsel zur Moderne, in keinem anderen Werk des Musiktheaters scheinen alle zentralen Elemente – Handlung, psychologische Konstellation, Gesang und Orchester – vergleichbar ins Extreme gesteigert: Die 1909 in Dresden uraufgeführte Elektra von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal sprengt alle bis dahin für die Opernbühne gültigen Maßstäbe und übertrumpft hinsichtlich der stimmlichen Anforderungen an die Protagonistin und die Größe des Orchesterapparats sogar Wagners Ring. Erstmals seit 29 Jahren steht diese gewaltige Tragödie nun wieder auf dem Spielplan des Mainfranken Theaters.

DER PLOT

Nach dem siegreichen Krieg gegen Troja kehrte Agamemnon nach Mykene zurück, wo er von seiner Frau Klytämnestra und ihrem Geliebten Aegisth getötet wurde. Seine Tochter Elektra hatte zu dieser Zeit ihren jüngeren Bruder Orest bei einem Pfleger in Sicherheit gebracht, der ihn zum Rächer des Vaters aufziehen sollte. Seither fristet Elektra ein Leben, das einzig den Moment der Vergeltung herbeisehnt. Als das Gerücht vom Tod Orests die Runde macht, will sie selbst zur Tat schreiten. Vergeblich bedrängt sie ihre Schwester Chrysothemis, ihr zu helfen, als plötzlich ein Fremder erscheint: Es ist Orest. Elektra sieht sich am Ziel ihrer Träume. „Wer glücklich ist wie wir, dem ziemt nur eins: schweigen und tanzen …“

VOM MYTHOS ZUM MUSIKDRAMA

Elektra ist die einzige Gestalt der griechischen Mythologie, die in Bearbeitungen der drei klassischen Tragiker überliefert ist, in den „Choephoren“, dem zweiten Teil der Orestie des Aischylos (458 v. Chr.) ebenso wie in den Elektra-Tragödien von Sophokles (422–413 v. Chr.) und Euripides (420–413 v. Chr.).
Hugo von Hofmannsthals 1903 in Berlin uraufgeführte Elektra geht auf Sophokles zurück. In seiner Bearbeitung, die später zur Grundlage von Strauss Partitur werden sollte, steht nicht der auf dem Geschlecht der Atriden lastende Fluch im Mittelpunkt des Geschehens. Vielmehr erreicht Hofmannsthal durch Streichungen der antiken Vorlage – etwa des Prologs und weiterer Teiles des Chores – eine enorme Verdichtung der Ereignisse und eine Konzentration auf die Titelfigur. Alles Faktische tritt bei Hofmannsthal hinter die Darstellung der seelischen Vorgänge Elektras zurück, die sich unmittelbar in der Partitur spiegeln: Strauss selbst sprach von der „psychischen Polyphonie“ der Elektra-Musik. Der 1909 in Wien geborene und später insbesondere in New York wirkende Musikkritiker Robert Breuer führt gerade diesen Aspekt in den einleitenden Worten zu seiner 1928 verfassten Maturaarbeit über die Oper Elektra an:
„Der ganze Stoff ist eine schwarze, heroische Symphonie des Unheimlichen, des tief Abgründigen. Es bietet sich uns ein weiter Ausblick in das hysterisch-gewaltige, psychologische Denken dieser Elektra […] Das psychologische Rätsel in ihr ist das unerklärliche Verlangen nach Befriedigung, nach rauschender Stillung ihrer Leiden. Und dann Tanz, wilder Tanz, Tanz in den Tod.“
Demgegenüber ordnet der Literaturwissenschaftler Mathias Mayer die Hofmannsthalsche Elektra einem größeren kulturgeschichtlichen Zusammenhang unter:
„In der kompromißlosen Absage an das klassische Griechenbild besonders Winckelmanns und Goethes, in der extremen Darstellung sprachmächtiger, todes- und haßgesättigter Weiblichkeit ist sie die Tochter der Kleistschen Penthesilea (1807) und das Vorbild für Hans Henny Jahnns Medea (1926). In der literarischen Familie derjenigen Kinder, die um einen ermordeten Vater trauern, ist sie die verstörte Schwester der Donna Anna [aus Mozarts Don Giovanni], deren Vater tatsächlich als ‚steinerner Gast‘ wiederkehrt, während Elektra den Vater nur visionär beschwört; sie ist aber auch die Schwester Hamlets, der dem Geist seines Vaters begegnet und, ähnlich wie Elektra, durch die Höhe seiner Reflexion der Ausführung der Rache im Weg steht. Durch die orientalisierende Färbung der Bildersprache ist Elektra mit Hölderlins Sophokles-Übersetzungen und Swinburnes Atalanta verschwistert. Mit der Verbindung von Tanz und Tod steht Elektra neben der kaum älteren Salome, Klytämnestra neben Herodias und Ägisth neben Herodes.“

DIE MUSIK

Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal lernten sich 1906 nach der Uraufführung des Dramas Ödipus und die Sphinx im Februar desselben Jahres kennen. Strauss hatte ebenfalls Hofmannsthals Elektra-Tragödie mit der Uraufführungsinterpretin Gertrud Eysoldt erlebt und war sogleich vom Stoff und der Idee einer Vertonung fürs Musiktheater fasziniert „Sie sind der geborene Librettist“, so Strauss in einem Brief vom 6. Juli 1908 an Hofmannsthal, „in meinen Augen das größte Kompliment, da ich es viel schwerer halte, eine gute Operndichtung zu schreiben, als ein schönes Theaterstück.“
Auch Hofmannsthal war von der Aussicht auf eine Bearbeitung seiner Tragödie für die Opernbühne angetan: „Allerdings, gerade Dieses, dass so viel Hintergrund in der Elektra ist, das wird erst die Musik herausbringen. Denn das gesprochene Drama ist auf eine elende Komparserie angewiesen. Wenn diese auch hundertmal hinter den Kulissen ‚Orest, Orest!‘ ruft, so denkt kein Mensch daran, was da hinten vorgeht. Die Musik hat ganz andre Mittel. Deshalb glaube ich, dass vielleicht erst die Musik herausbringen wird, was an dem Stück wirklich dran ist.“

DAS TEAM

Für die Neuinszenierung der Elektra konnte einmal mehr die 2019 mit dem renommierten Götz-Friedrich-Preis ausgezeichnete Schweizer Regisseurin Nina Russi gewonnen werden, die in Würzburg zuletzt Leoš Janáčeks Die Sache Makropulos herausgebracht hat; Wiederaufnahme dieser gleichermaßen von Publikum und Kritik gefeierten Produktion ist am 28. Oktober 2023. Weitere Regieverpflichtungen führten Nina Russi zuletzt unter anderem an das Theater St. Gallen sowie an die Oper Zürich, im April 2024 ist sie als Regisseurin von Händels Alcina erstmals Staatstheater Darmstadt zu Gast.
Ihr Zur Seite steht erneut Julia Katharina Berndt, die am Mainfranken Theater bereits für zahlreiche Bühnen- und Kostümbilder verantwortlich zeichnete, unter anderem zu Meyerbeers Hugenotten (2016), Adams‘ Nixon in China (2018), Humperdincks Hänsel und Gretel (2019) sowie zuletzt zu Janáčeks Die Sache Makropulos (2021).
Mit Elena Batoukova-Kerl konnte eine der derzeit führenden Sopranistinnen des dramatischen Fachs gewonnen werden. Nach ihrem umjubelten Brünnhilden-Debüt in Wagners Götterdämmerung (2019) gibt sie nun mit der Titelpartie der Elektra ein weiteres mit Spannung erwartetes Rollendebüt am Mainfranken Theater.
Ein Wiedersehen gibt es darüber hinaus mit der serbischen Mezzosopranistin Sanja Anastasia als Klytämnestra, die in Würzburg bereits 2014 als Herodias (Salome) sowie 2010 als Ulrica in Verdis Maskenball zu Gast war. In den weiteren Hauptrollen sind ferner die griechische Sopranistin Ilia Papandreou (Chrysothemis) und der australische Heldentenor Brad Cooper (Ägisth) zu erleben sowie Kosma Ranuer Kroon aus dem Opernensemble des Mainfranken Theaters als Orest.
Die musikalische Gesamtleitung liegt in den Händen von Generalmusikdirektor Enrico Calesso, der sich dem Würzburger Publikum damit nach Salome (2014) und Ariadne auf Naxos (2019) abermals als Strauss-Dirigent präsentiert, zudem mit einer eigenen Einrichtung von Strauss‘ riesenhafter Partitur für das Philharmonische Orchester Würzburg.

PREMIERE
Sonntag, 08.10. | 18:00 Uhr

WEITERE VORSTELLUNGEN
Mittwoch, 11.10. | 19:30 Uhr
Sonntag, 15.10. | 18:00 Uhr
Sonntag, 22.10. | 15:00 Uhr
Dienstag, 31.10. | 19:30 Uhr

Einführung jeweils 35 Minuten vor Beginn
Theaterfabrik Blaue Halle
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