Momentaufnahmen

Klingende Farben
Das erste Sinfoniekonzert der Saison beleuchtet unter der musikalischen Leitung von Gábor Hontvári das Phänomen der Klangfarben. Neben dem Orgelkonzert von Francis Poulenc und den Bläsersinfonien von Igor Strawinsky steht eine Bearbeitung für Kammerorchester des impressionistischen Meisterwerkes La Mer von Claude Debussy auf dem Programm.

Heute gilt „La Mer" als eines der wegweisendsten Orchesterwerke des 20. Jahrhunderts. Debussy kokettiert in diesem Tongemälde nachgerade mit der Erwartungshaltung, den der Titel evoziert. Ist „La Mer" ein klingendes Abbild des Meeres? Wie impressionistisch ist das 1905 uraufgeführte Orchesterwerk?
SPIEL MIT LICHT UND SCHATTEN
Wenn Maler vom Format eines Claude Monets oder Paul Degas’ ein neues Werk schufen, dann zumeist „en plein air“, also unter freiem Himmel. Was das Bild einfing, waren Momentaufnahmen, skizzenhaft auf die Staffelei gebracht. Weniger mit feinem Pinselstrich und akkuraten Konturen als mehr mit fleckig oder kommaartig aneinandergesetzten Farbtupfern entstanden auf diese Art Kunstwerke, die sich zumeist erst aus einiger Entfernung im Auge des Betrachters zum Motiv zusammenfügen. Diese Bilder fangen Lichtreflexe und Stimmungen ein und konservieren diese auf Leinwand. Wenn Debussys „La Mer" nun ein impressionistisches Tongemälde ist, dann könnte man ebenso davon ausgehen, dass Debussy seine Komposition während eines Aufenthaltes am Meer zu Papier brachte. Der Franzose arbeitete ab 1903 an seinen sinfonischen Skizzen, wie das dreisätzige Orchesterwerk im Untertitel heißt. In einem Brief vom 12. September desselben Jahres aus seinem Feriendomizil an seinen Freund André Messager schrieb er: „Sie werden zu mir sagen, dass der Ozean nicht gerade die Rebhügel der Bourgogne bespült und dass die Sache wie eine Atelierlandschaft ausfallen könnte, aber ich habe zahlreiche Erinnerungen. Das taugt meiner Ansicht nach mehr als eine Wirklichkeit, deren Zauber im Allgemeinen zu schwer auf unseren Gedanken lastet.“ Offenkundig benötigte Debussy das Meer nicht vor der Haustür, um ein klares Bild dessen vor Augen zu habe, was „La Mer" inhaltlich zu umkreisen suchen würde.
Mehr Meer
Die Partitur zu „La Mer" wuchs binnen zweier Jahre zu einem großangelegten Orchesterwerk und wurde am 15. Oktober 1905 in Paris aus der Taufe gehoben. Der Uraufführung war kein Erfolg beschieden. Laut Kritik fanden „die einen das Meer nicht wieder, die anderen die Musik“. Die Genialität der musikalischen Übertragung von Farbwert und Pinselstrich in Klang nachzuvollziehen, war für das Uraufführungspublikum am Beginn des letzten Jahrhunderts zu viel verlangt. Wer aber vermag, der klingenden Imagination von Natur nachzuspüren, der findet in „La Mer" das Meisterwerk, welches es
ist. 
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