Hiobs Botschaft

Familienbande im Wandel
Am 15. Februar feiert die Dramatisierung von Joseph Roths Roman „Hiob" Premiere am Mainfranken Theater. Dabei kommt in der Regie von Sigrid Herzog und der Ausstattung von Alexandra Burgstaller dem Spielzeitmotto „Familienbande“ eine zentrale Bedeutung zu. In der Hauptrolle ist der namhafte Schauspieler Otto Kukla zu erleben.

Der biblische Hiob ging als Sinnbild eines vom Schicksal geschlagenen Menschen in die Literatur ein. Joseph Roths gleichnamiger Roman aus dem Jahr 1930 erzählt die Geschichte eines modernen Hiob. „Roman eines einfachen Mannes“ heißt es dort im Untertitel, und dieser Jedermann ist der fromme Thora-Lehrer Mendel Singer, der mit seiner Familie in einem jüdischen Schtetl im zaristischen Russland lebt.

Was in diesem unscheinbaren ostjüdischen Milieu schleichend beginnt, erweist sich schon bald als unaufhaltsamer Alptraum. Der gottesfürchtige Mendel Singer wird von einem Schicksalsschlag nach dem anderen getroffen. Alles beginnt mit der Geburt seines jüngsten Sohnes Menuchim, der als von Anfällen geplagt und zurückgeblieben dargestellt wird. Mendel Singer nimmt zunächst sein Schicksal fatalistisch an, die Behinderung seines jüngsten Sohnes, der auch nach Jahren nicht mehr als das einzige Wort „Mama“ spricht, genauso wie die Entfremdung von seiner Frau Deborah und den älteren Kindern, denen das Leben im Schtetl zu eng wird. So verliert das tradierte jüdische Leben bereits in Russland jegliche Stabilität. Normen und Werte unterliegen einem nicht mehr zu ignorierenden Wandel, die Familienbande beginnen sich zu lockern.

Dafür symptomatisch streben die drei älteren Kinder ohne Zögern fort von den Eltern. Jonas, der Älteste, geht zur Armee – damals ein sündhafter Bruch des jüdischen Gesetzes. Schemarjah, der Zweite, entzieht sich der Einberufung und desertiert nach Amerika. Er gründet eine Familie und wird ein erfolgreicher Geschäftsmann, der in den USA jede geistige Bindung zum Judentum verliert. Aus Schemarjah wird „Sam“. Und Mirjam will eine geradezu anarchisch anmutende Lust erleben. Es sind die Affären seiner Tochter mit den Kosaken, dem Inbegriff des Teuflischen, die Mendel schließlich dazu bewegen, mit Frau und Tochter nach Amerika auszuwandern. Allein den behinderten Sohn Menuchim lassen die Singers unter schweren Gewissensbissen zurück, weil er den Aufnahmekriterien der neuen Welt nicht entspricht.

Doch auch dort, in der „Freien Welt“, findet sich kein Ersatz für die verloren gegangenen traditionellen Werte. Spätestens der Individualismus in Amerika löst die Bande unter den Familienmitgliedern auf, zerstreut und vereinzelt sie. Anstatt in Amerika ein besseres Leben zu führen, findet Mendel zwar Freunde, bleibt aber fremd und fühlt sich auch von sich selbst entfremdet. Ohnmächtig muss er mit ansehen, wie der fortschreitende Krieg ihm nach und nach alles nimmt. Seinen Sohn, der fällt, seine Frau, die angesichts dieser Unglücksnachricht stirbt, und seine Tochter, die wahnsinnig wird. Mendels bis dahin unerschütterlicher Gottesglaube wird auf eine harte Probe gestellt – da ereignet sich ein Wunder ...

Mit seinem berühmten Roman schreibt Joseph Roth die alttestamentarische Geschichte Hiobs als eine berührende Familiensaga über den Wandel der Zeiten, die Fesseln der Tradition und die Auflösung vertrauter Bindungen fort.

Beitrag von

Kommentare

18.2.2020 12:09 | Mainfranken Theater
Herzlichen Dank für diesen ausführlichen Kommentar!
17.2.2020 20:30 | Dr. Arthur Bartle
An die Hiob-Crew,
aus Ärger über die Rezension zur Hiob-Aufführung in der heutigen Ausgabe der Mainpost habe ich folgenden Leserbrief geschrieben. Ich weiß natürlich nicht, ob er abgedruckt wird, und wenn ja, ob vollständig.
Auch wenn Sie meinen Trost nicht nötig haben, erlaube ich mir, Ihnen eine Kopie des Schreibens zuzuschicken:

Leserbrief zur Theaterbesprechung ("Schablonenhafte Aufführung") von "Hiob" am Mainfranken Theater Würzburg
Wahrnehmungsweisen z. B. von Theaterveranstaltungen sind subjektiv - eine Binsenweisheit. Keine Überraschung also, dass dieser Gemeinplatz auch für die Inszenierung von Koen Tachelets "Hiob" am Mainfranken Theater gilt. Einen solch schonungslosen Verriss jedoch wie in der Besprechung vom 17.02. in der Mainpost hat diese Premiere nach meiner Überzeugung nicht verdient.
Vielleicht war ich nicht aufmerksam genug, aber ich habe nicht bemerkt, dass die Akteure "sich gegenseitig voreinander (?) mehrmals Kreise in der Luft" malen, wenn sie "ein rundes Gesicht" erwähnen.
Briefe spielen im Theaterstück eine nicht unwichtige Rolle. Sie eignen sich vielleicht schon von der Textsorte her nicht zu einer dramatisch packenden Darstellung. In meiner Wahrnehmung aber ist gerade die Inszenierung dieser Szenen hier in Würzburg abwechslungsreich gelungen. Das beste Beispiel dafür ist das Foto der Aufführung, das dem Verriss beigefügt ist.
Kritisiert wird in der Besprechung die Tatsache, dass "Mac der Familie im selben Moment", in dem der Brief vorgelesen wird, "10 Dollar" überreicht. In der Tat haben wir hier eine Doppelung von Brieftext und Bühnenhandlung - nur ist dies ein Zeichen von Redundanz? Geld und die Umrechnung von Dollar in Rubel spielen für die Familie Singer in dieser Situation eine wichtige Rolle - muss oder soll man da auf das Requisit und damit auf Anschaulichkeit verzichten? Was ist daran "schablonenhaft" oder "überdeutlich"?
Kein Wort liest man zum Bühnenbild. Trifft das verallgemeinernde Attribut "irgendwie blutleer" wirklich zu, wenn etwa die Kinder Mendels beim ersten Auftritt überraschend aus den Türen der Schränke, mit denen die Bühne vollgestellt ist, heraustreten und symbolisch aus der eigenen räumlichen wie geistigen Enge auszubrechen versuchen?
Ja, vielleicht holzschnittartig, wie die Kinder Mendels oben auf den Schränken, gleichsam auf der 2. Spiel-Etage, liegen und der Handlung provokativ desinteressiert den Rücken kehren, wenn sie nicht im Spiel sind. Aber ist dieser kleine Kunstkniff nicht funktional, sprechend und damit unterfüttert mit Bedeutung?
Ist Mendel Singer wirklich eine nur "mäßig interessante" Figur? Ja, er ist ein "einfacher Mann", so schon der Untertitel des Romans von Joseph Roth, gottergeben und auch deswegen ohne Eigeninitiative. Nur ein Gegenbeispiel für die Intensität der Darstellung: Ich habe einen inneren Monolog in der Würzburger Inszenierung gehört, in dem Otto Kukla eindrucksvoll darstellt, wie ihn Lärm und Gestank und Gewimmel in New York geradezu zerbrechen und im wörtlichen wie übertragenen Sinn ohnmächtig werden lassen. Ein Beispiel für "psychologisch desinteressierte Würzburger Regie"?
Kein Wort lesen wir in der Rezension zum Thema Niedergang einer Familie, zum Verfall einer ver-meintlich überholten religiösen Tradition, kein Wort zum Gegensatz der Schauplätze im galizischen Schtetl bzw. in der Metropole New York.

Die Hiobsproblematik des Stücks nun wird schnoddrig und umgangssprachlich ("Als Hiob schließlich der Kragen platzte", "echt Hiob") abgetan und Joseph Roths Roman, die Vorlage für das Stück, von oben herab als "literarisch eher mager" abgewertet. Koen Tachelets Dramatisierung wird zudem spöttisch vorgeworfen, dass sie den "Hiob in weniger als 700 Hauptsätzen nachstellt". Liegt es denn an der Hypotaxe, die einem Text Niveau erst verleiht?

In der Tat, ich habe eine andere, bessere Aufführung als der Rezensent gesehen und auch stürmi-schen, lang anhanltenden Beifall gehört.

Ihr Kommentar

* Pflichtfeld

Mit der Nutzung der Kommentarfunktion stimmen Sie unserer Datenschutzerklärung zu.
* Pflichtfeld

Mit der Nutzung der Kommentarfunktion stimmen Sie unserer Datenschutzerklärung zu.